Oberstudienrat Leviathan – Anmerkungen zur FDP-Programmdebatte

FDP-Generalsekretär Christian Lindner gibt seit Neuestem den Salonlöwen. So durfte ich gestern an dem FDP-Salon zur Bildungspolitik in Berlin teilnehmen und mich des freundlichen Geplauders von Herrn Lindner, Disziplin-Experten Bernhard Bueb und Salonkommunisten Ulrich Schneider erfreuen. Es ging artig zu zwischen den drei grundverschiedenen Herren und ich muss gestehen, dass jeder von ihnen bisweilen Positionen vertreten hat, die ich durchaus auch unterstützen würde. Wenn etwa Schneider, Geschäftsführer des Deutschen Paritätischen Wohlfahrtsverbandes und mithin zuständig für etliche Schulen in freier Trägerschaft, sich für mehr Eigenverantwortlichkeit der Schulen stark machte. Oder wenn Bueb, der frühere Leiter der Privilegierten-Schule Salem, die mangelnde Bereitschaft zu Leistung beklagt. Auch Christian Lindner weiß mit einer Anekdote aus seiner eigenen Biographie aufzuwarten: seine Großeltern, beide nur mit einfachen Volksschulabschlüssen, hätten seinen Vater durch das Gymnasium hindurch begleitet, indem sie ihn zu Leistungen anspornten, obwohl sie kein Wort Latein verstanden und keinen Zugang zur höheren Mathematik hatten. Schön!

Überhaupt: das Thema Leistung. Leistung muss sich wieder lohnen, sagt sogar Schneider, der ja ansonsten nicht im Verdacht steht, FDP-Parolen zu verbreiten. Aber wie fördert man Leistungsbereitschaft, in einer Gesellschaft, in der jeder – vom Transferempfänger bis zum Zahnarzt-Erben – auf Leistung nicht mehr angewiesen ist, um sein Leben den eigenen Ansprüchen entsprechend zu führen? Ach ja, natürlich: der Staat muss Leistung fördern. Die Lehrer sollen im Auftrag des Staates ihre Kinder zu Leistung anhalten. Was aber, wenn die Kinder bereits zuhause lernen, dass man auch ohne Leistung gut leben kann? Was, wenn sie nicht wie Papa Lindners Eltern haben, die sie ermuntern, sich anzustrengen? (Die hier von Schneider pflichtschuldig angeführte alleinerziehende Mutter gab es übrigens auch früher – Soldatenwitwen, Mägde etc. –, und sie haben oft tüchtigere und erfolgreichere Kinder hervorgebracht als intakte Elternhäuser aus sogenannten „besseren Verhältnissen“.) Tja, da muss dann in der frühkindlichen Erziehung der Staat mehr eingebunden werden. Erinnert sich noch jemand an den schönen Ausspruch des Hamburger Bürgermeisters Olaf Scholz „Wir wollen die Lufthoheitüber unserenKinderbettenerobern“? Wird das demnächst auch FDP-Politik?

Obwohl ich den sehr unterschiedlichen Herren punktuell immer wieder zustimmen konnte, gab es einen zentralen Punkt, in dem sich der konservative Provokateur, der professionelle Gutmensch und der gutaussehende Lordsiegelbewahrer der FDP leider einig waren, der mich aber veranlasste, mich auf meinem Stuhl zu winden: alle drei vereinte bei allem, dem Umfeld des Dehler-Hauses wohl geschuldeten, verbalen Staatsskeptizismus ein unerschütterliches Staatsvertrauen. Für alle drei Herren ist die Vorstellung von wirklich unabhängigen Schulen wohl eine Denkunmöglichkeit gewesen. Immer noch wird über die Hintertür von Lehrplänen oder (vermeintlich) unabhängigen Schulaufsichtsbehörden der Staat ins Schulwesen eingeschmuggelt. Aber genau dieses Staatsvertrauen als Grundhaltung hat erst die Bildungsmisere hervorgebracht, vor der wir heute stehen. Denn die Bildungsmisere ist nicht Folge falscher Lehrpläne, Konzepte oder Systeme – die Bildungsmisere ist in erster Linie eine Leistungsmisere. Und diese hat ihre Wurzeln in einem seit Bismarck ausufernden Staat, der den Bürger zunehmend seiner Selbstverantwortlichkeit und damit seiner Leistungsbereitschaft beraubt.

Bedauerlich, dass auch der Generalsekretär einer sich als liberal bezeichnenden Partei nicht den Mut aufbringt, dem Markt und der insbesondere dem Bürger zu vertrauen.

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