Das Schicksal des sehr talentierten Oppositionsführers und mäßigen Regierungspolitikers Guido Westerwelle offenbart ein deutsches, vielleicht auch europäisches Problem. Hätte er nach der Wahl 2009 der Versuchung widerstanden, ein Regierungsamt zu übernehmen und wäre er Fraktionsvorsitzender geblieben, dann hätte er nicht nur seine Talente wesentlich besser einsetzen können, um die Regierung an einem linken Kuschelkurs zu hindern, sondern hätte auch durch die Verbindung von Partei- und Fraktionsvorsitz den Primat der Legislative vor der Exekutive anschaulich gemacht. So aber hat er sich in die Kabinettsdisziplin einbinden lassen, zumal in einem mittlerweile so einflussarmen Amt wie dem des Außenministers. Gegen den Euro-Rettungs-Wahnsinn hätte ein Fraktionsvorsitzender Westerwelle angehen können, ein staatstragender Außenminister nicht …
Das Problem, das wir in Deutschland haben, ist die Geringschätzung des Parlaments. Parlamentarier sollen nicht mehr eigenständige Volksvertreter sein, sondern sollen lediglich der Exekutive zuarbeiten. Wir sind da auf dem besten Weg zu einem Volkskongress. Der eigentliche Primat der Legislative als Repräsentant des Souveräns ist – auch durch ein stark parteipolitisch ausgerichtetes Nominierungsverfahren – bis zur Unkenntlichkeit zurechtgestutzt worden. Wie ganz anders geht es da im „Mutterland der Demokratie“ zu, wo ein einfacher Senator zum Präsidenten aufsteigen kann. In den Vereinigten Staaten sind nicht die Minister die entscheidenden Politiker (bezeichnenderweise heißt die Regierung dort ja auch „administration“), sondern die Parlamentarier. Senatoren und Kongressangehörige sind oft viel bekannter als die Fachminister.
Solange Parteipolitiker in Deutschland nach den Regierungssesseln streben, wird Politik von oben gemacht werden und Machterwägungen werden immer über rationale Argumente siegen. Das wird jenseits der Frage, inwieweit man noch von einem demokratischen System sprechen kann, auch deshalb zunehmend zu einem Problem, weil es die wichtige Erkenntnis Friedrich August von Hayeks ignoriert, daß die jeweils kleinere Einheit gegenüber der größeren einen Wissensvorsprung hat, das Parlament also mithin einen erheblichen Vorsprung vor der Regierung hat, auf den selbige zurückgreifen sollte anstatt ihn zu ignorieren.
„Nicht die Regierung hält sich ein Parlament, sondern das Parlament hält sich eine Regierung“, erinnert Reinhard Müller vor zwei Wochen in seinem lesenswerten FAZ-Beitrag „Kein Abnickverein“. Daß sich dieses ursprüngliche Verhältnis mittlerweile umgekehrt hat, gibt Oswald Metzger zu bedenken, wenn er feststellt: „Die Regierung degradiert nicht nur die eigenen Abgeordneten im Deutschen Bundestag zu reinen Statisten. Sie schürt auch den Politikverdruss im Land, der ohnehin so groß ist wie nie.“ Denn die Entwicklung geht dahin, dass der Souverän schleichend entmachtet wird durch eine sich allwissend und allfürsorglich gerierende Exekutive. Unser Land ist auf dem besten Weg zu einer Tyrannis der Exekutive …