Verabschiedung von Dr. Christian Taaks

Am 10. September 2022 starb nach schwerer Krankheit Dr. Christan Taaks, der von 2010 bis 2015 die Begabtenförderung der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit leitete, oder besser: verantwortete. Am 11. September 2015 durfte ich die kurze Ansprache zu seiner Verabschiedung als Leiter der Begabtenförderung halten:

“The more boring a child is, the more the parents, when showing off the child, receive adulation for being good parents — because they have a tame child-creature in their house.” (Frank Zappa)

Ob Sie, lieber Herr Dr. Taaks, wohl viel Lobhudelei über Ihre wohlgeratenen Stipendiaten zu hören bekommen haben in den vergangenen fünf Jahren? Man möchte das Ihnen als einem leidenschaftlichen Zappa-Freund eigentlich nicht wünschen. Langweilige Kinder – das hatten Sie, glaube ich, in den letzten Jahren wirklich nicht unter ihren Fittichen. Dass Sie Ihren Zappa ernst nehmen, hat sich – zu unserem großen Vorteil – daran gezeigt, dass Sie niemals den Versuch unternommen haben, uns auf Linie zu bringen oder anzupassen. Ganz im Gegenteil: Sie haben uns ermuntert zur Selbständigkeit und Kreativität – zwei Eigenschaften, die zum Grundbestand jeder liberalen Werkzeugkiste gehören.

Mehr noch: Sie haben Ihre schützende Hand über uns gehalten, wenn wieder jemand auf die Idee kam, uns Stipendiaten Geld zu kürzen oder gar unsere Kreativität in geordnete Bahnen zu lenken. Sie waren derjenige, der uns immer wieder vor planwirtschaftlichen Eingriffen von außen geschützt hat und innerhalb der Stipendiatenschaft jene Spontane Ordnung ermöglicht und garantiert hat, die über die Jahre so reiche Frucht getragen hat. Sie haben für so viel Freiraum gesorgt wie nur irgend möglich.

Im Gespräch mit ein paar Mitstipendiaten sind wir neulich darauf gekommen, dass Sie für uns eine Art Albus Dumbledore waren. Da Ihre Lektüre von Harry Potter unter Umständen schon ein Weilchen her ist, möchte ich Ihr Gedächtnis gerne etwas auffrischen:

Dumbledore ist gerecht. Er behandelt die ihm Anvertrauten mit Fairness, Freundlichkeit und ohne Rücksicht auf seine persönlichen Sympathien. Gerechtigkeit geht für ihn aber stets einher mit Barmherzigkeit. Dass Dumbledore gerecht ist, heißt nicht, dass er übermäßig streng ist. Er gibt eine zweite, dritte und vierte Chance, weil er an das Gute im Menschen glaubt und an dessen Fähigkeit, an sich zu arbeiten. Dumbledore ist offen für andere Menschen wie für neue und unkonventionelle Ideen. Er gibt sich selbst keine Denkverbote und vertraut auf den Dialog als Mittel der Problemlösung. Dumledore ist gutmütig und tiefenentspannt. Er versteht es, sich in schwierigen Situationen nicht zum Zorn, nicht zu vorschnellen Urteilen oder Handlungen hinreißen zu lassen. Klug und diplomatisch gelingt es ihm, auch knifflige Lagen noch zu entschärfen und zum Guten zu wenden.

Dumbledore ist fürsorglich. Er weiß, dass seine herausragende und verantwortungsvolle Stellung ihn dazu verpflichtet, die ihm Anvertrauten zu schützen und zu verteidigen, zu leiten und zu begleiten. Dabei wahrt er freilich stets die nötige Distanz zu seinen Schützlingen. Kein leichter Balanceakt, da ihm manche von ihnen natürlich besonders am Herzen liegen. Apropos Herz: Dumbledores herausragende Eigenschaft – diejenige, die ihn so beliebt macht, und die Quelle aller anderen positiven Eigenschaften ist – ist sein großes Herz. Sein Herz, das weit geöffnet ist für jeden. Sein Herz, das wie ein guter Gastgeber bereits an der Eingangstür wartet und jeden willkommen heißt.

Sie haben wirklich viel mit Professor Dumbledore gemeinsam. Es ist aber ganz besonders sein großes Herz, lieber Herr Dr. Taaks, das uns an Sie erinnert. Für Sie war ihre Aufgabe als Leiter der Begabtenförderung nicht bloß ein Job, sondern Berufung, Lebensaufgabe und – eben – Herzensangelegenheit. Kein Wunder, dass Ihnen in den Gedanken und Gesprächen der Stipendiaten schon unzählige Beliebtheits-Preise zugesprochen wurden. Eigentlich schade, dass nie einer verliehen wurde … Wir beneiden diejenigen, die fortan in den Genuss Ihrer Persönlichkeit kommen. Viel Erfolg und vor allem viel Freude bei Ihrer neuen Aufgabe!

Lieber Herr Dr. Taaks, man konnte sich bei Ihnen geborgen und geschützt fühlen. Mir scheint, es gibt keine Eigenschaft, die jemanden besser für eine solche Verantwortungsposition qualifiziert. Von ganzem Herzen danken wir Ihnen, dass Sie Ihr großes Herz stets für uns alle geöffnet haben!

Das letzte Wort möchte ich wiederum Ihrem Freund Frank Zappa überlassen: „The first thing you have to do if you want to raise nice kids, is you have to talk to them like they are people instead of talking to them like they’re property.”

Fürchtet Euch nicht: Warum wichtiger als Grenzen deren Überwindung ist

„Grenzen“ ist ein zentraler Begriff unserer Zeit: Grenzen des Wachstums, Grenzen der Aufnahmefähigkeit, Belastungsgrenzen, Staatsgrenzen, Lohnuntergrenzen, Diskursgrenzen, Grenzwerte. Was aber macht diese Fixierung mit uns? Und: Sind nicht Zivilisation und Wohlfahrt Ergebnis ihres Gegenteils – der Entgrenzung?

Die Globalisierung ist auf ökonomischem, auf technischem wie auf gesellschaftlich-kulturellem Gebiet seit dem Fall des Eisernen Vorhangs explodiert. Handels- und Finanzströme umspannen die ganze Welt, und das Bruttoweltprodukt ist von 20,1 Billionen Dollar im Jahr 1989 inzwischen bei 80,7 Billionen angekommen. 1991 ging das Internet an den Start, heute haben über 4 Milliarden Menschen auf der ganzen Welt Zugang. Frauen sind reihenweise Regierungschefs und Homosexuelle können in den meisten Ländern Westeuropas und Lateinamerikas heiraten.

Diese schnellen Bewegungen produzieren Verlierer und rufen Ängste hervor. Eine der logischen Konsequenzen daraus ist, dass die Nachfrage nach Grenzen steigt. Nach Grenzen, die anders als während der Zeit des Kalten Krieges nicht mehr als Einschränkung oder Bedrohung empfunden werden, sondern als Schutz. Politische Akteure, die sich vehement für Grenzen einsetzen, dominieren vielerorts den Diskurs, und zwar unabhängig davon, ob es um Einwanderung, Löhne, Kultur, Mieten oder Abgase geht.

Im Grunde ist es das Versprechen, die Welt wieder überschaubar zu machen. Sie wieder in den Griff zu bekommen. „Take back control!“, lautete der Schlachtruf der Brexit-Befürworter. Grenzen erscheinen als der Ausweg aus dem Kontrollverlust und der Unübersichtlichkeit. Putin, Erdogan, Orban, Duterte, Trump, Bolsonaro wurden gewählt, weil sie glaubhaft signalisiert haben, dass sie bestehende Grenzen schützen und womöglich neue errichten werden.

Es gab schon einmal eine solche Zeit der rasanten Umbrüche. Viele der Muster, die wir heute wieder antreffen, sind auch dort schon zu finden. Aufklärung und Industrialisierung führten ab der Mitte des 18. Jahrhunderts zu massiven Umwälzungen der Gesellschaften. Mit dem steigenden Wohlstand, der zunehmenden Bildung und erhöhten Mobilität standen immer mehr Menschen eine immer größere Menge an Lebensoptionen und Chancen zur Verfügung.

Und auch in dieser Epoche kam es zu einer Phase der verstärkten Grenzziehungen: Die einflussreichen politischen Ideen des Nationalismus und des Sozialismus entstanden in dieser Zeit. Staaten festigten ihre Macht als Militär- und Wohlfahrtsstaaten. Das Ergebnis war verheerend für die Welt. Rückzug, Einigeln und – wie der Philosoph Karl Popper schrieb – die Rückkehr „zur angeblichen Unschuld und Schönheit der geschlossenen Gesellschaft“ brachten den Prozess des Fortschritts und der Verbesserung ab 1914 nicht nur zum Stillstand, sondern kehrten ihn um.

Der steigende Wohlstand und die zunehmenden bürgerlichen Freiheiten in den Jahrzehnten davor kamen freilich nicht aus dem luftleeren Raum. So unverzichtbar technische Entdeckungen für jegliche Form der Entwicklung sind: Es bedarf auch immer der Mitwirkung von Menschen, die diesen Prozess mit Ideen und Erzählungen begleiten, erklären und befördern. Diese Unterstützung kann nirgends so eindrucksvoll wahrgenommen werden wie in Großbritannien. Es waren dies die sogenannten Whigs, die Partei der Optimisten und Menschenfreunde.

Der Startpunkt der Whig-Bewegung war die Glorious Revolution von 1688, als in England endgültig die Vormachtstellung des Parlaments vor dem König etabliert wurde. Die Whigs standen nicht nur für das Prinzip der konstitutionellen Monarchie, sondern setzten sich auch für religiöse Toleranz ein – keineswegs eine Selbstverständlichkeit in diesem Jahrhundert der Religionskonflikte.

Als im ausgehenden 18. Jahrhundert der Fortschrittszug richtig an Fahrt aufnahm, waren die Whigs als Heizer ganz wesentlich beteiligt. Auch wenn sie nicht selber das Fahrzeug lenkten, sorgten sie doch dafür, dass immer genug Kohlen nachgelegt wurden, um die beständige Vorwärtsbewegung in rascher Geschwindigkeit aufrecht zu erhalten. Zu ihren politischen Anliegen gehörten Freihandel, die Gleichberechtigung der Katholiken, die Abschaffung der Sklaverei und Wahlrechtsreformen. Was sie auch anpackten: am Ende standen sie als Sieger da und nicht ihre politischen Gegner, die Tories.

Einen fulminanten Abschluss fand diese Phase in dem vierfachen britischen Premierminister William E. Gladstone. Er hielt den Staat schmal, um dem Bürger die Gelegenheit zu geben, sein Leben selbst in die Hand zu nehmen. Damit ihnen das besser gelänge, mühte er sich darum, den Zugang zu Bildung zu erleichtern. Er verlor sehenden Auges seine eigene Machtstellung im Kampf für mehr Autonomie für Irland. Und er arbeitete an einem Europa des friedfertigen Miteinanders (ein Konzept, das von Bismarcks Machtspielchen zerstört wurde). Seine Ziele waren Wohlfahrt und Frieden – und er war überzeugt, dass dies nur erreicht werden konnte, wenn man der Dynamik des menschlichen Willens zur Verbesserung möglichst freien Lauf lässt.

Am Ende dieser zweihundert Jahre von Whig-Geist in Großbritannien sah sich der Liberalismus einer überwältigenden Front aus Feinden gegenüber: Nationalisten und Sozialisten, Konservative und Sozialdemokraten – alle hieben aus unterschiedlichen Richtungen auf den Liberalismus ein, wobei die Kritik in den Grundzügen kaum anders klang als heute: Laissez-faire sei ein Instrument der Reichen; ihre Libertinage würde die Kultur zugrunde gehen lassen; diese ganze Sache mit der Freiheit sei ein Elitenprojekt; wahre Freiheit sei nur in der Nation zu haben oder in der Revolution …

Was aber hatte diesen Frauen und Männern die Kraft gegeben, über rund zwei Jahrhunderte hinweg ein Land wie Großbritannien zu prägen – und damit letztlich die ganze Welt? Es waren zwei grundlegende Überzeugungen. Die Welt kann besser werden. Die Welt wird besser, indem sich Menschen dafür einsetzen. Das war die Seele der Bewegung, die wesentlich dazu beigetragen hat, unseren Wohlstand und unser freiheitliches System zu begründen. Es ist das waghalsige Vertrauen darauf, dass Veränderungen in vielen Fällen Verbesserungen sind – gerade da, wo sie spontan entstehen.

Eingeklemmt zwischen den Wachstumskritikern auf der einen und den Abendlandschützern auf der anderen Seite bläst auch heute der Globalisierung der eiskalte Wind der Grenzzieher wieder ins Gesicht. Die ökonomischen und politischen Gewinne der letzten dreißig Jahre werden beiseite gewischt, und Fortschritt und Offenheit werden sogar aus den Sonntagsreden entfernt. Diese „schöne neue Welt“ der Grenzen sollte nicht die Oberhand gewinnen, sonst geraten viele unserer Errungenschaften in ernsthafte Gefahr. Und anders als die Grenzfreunde es uns glauben machen möchten: am Ende ginge es den heutigen Verlierern noch schlimmer und die derzeitigen subjektiven Ängste würden objektive Realitäten. Um das zu erkennen, genügt der Blick auf die größten Freunde innerer wie äußerer Grenzen: Nordkorea etwa, Venezuela und derzeit immer mehr die Türkei.

Das Credo der Whigs, dass die Geschichte der Menschheit eine Geschichte zunehmenden Erfolgs ist, ist keine Schönfärberei. Die These wird wieder und wieder bestätigt. Oder zu welcher Zeit waren die Menschen je freier? Zu welcher Zeit ging es ihnen finanziell oder gesundheitlich besser? Wer würde ernsthaft mit seiner Ururgroßmutter im 19. Jahrhundert oder einem Fürsten des 16. Jahrhunderts tauschen wollen?

All das verdanken wir freilich weder einem Weltgeist noch einer unsichtbaren Macht. Es ist das Ergebnis menschlicher Vernunft. Nicht eines Gehirns, sondern den intellektuellen Bemühungen von unzähligen Menschen, die im beständigen Austausch nach Lösungen und Verbesserungen suchen. Dieses Streben des Menschen ist der Grund dafür, dass Getreide gezüchtet, das Rad erfunden, Gesetze aufgeschrieben, Schiffe gebaut, Herrscher beschränkt, Schulen eingerichtet, Penizillin entdeckt, Frauen gleichgestellt, Katalysatoren entwickelt und das Internet konzipiert wurde.

Dass wir Zivilisation haben, liegt daran, dass Menschen sich nie zufriedengegeben haben, sondern immer weiterkommen wollten. Wie es Friedrich August von Hayek formulierte: „Nicht in den Früchten zurückliegenden Erfolgs, sondern im Leben in der Zukunft und für die Zukunft erweist sich die menschliche Intelligenz.“ Es ist der Drang zur Grenzüberschreitung und zur Entgrenzung, der unser Leben lebenswert macht. Gerade heute braucht die Welt Menschen, die diese Haltung teilen. Menschen, die wie die Whigs vor zweihundert Jahren beherzte Optimisten sind, und so die Welt zu einem besseren Ort machen.

Erstmals erschienen beim INSM Ökonomenblog.

Wie die Suche nach dem Motiv unser Denken vernebelt

Wer sich mit Politik beschäftigt, ob professionell oder amateurhaft, spekuliert oft nur zu gerne über die Motive politischer Akteure. Die Gefahr ist groß, dass einem die Phantasie dabei durchgeht und man das eigentliche Problem und seine Lösungsmöglichkeiten aus dem Blick verliert.

Die neoliberale Weltverschwörung

Als Margaret Thatcher zwischen 1979 und 1990 Politik und Ökonomie Großbritanniens einem radikalen Wandel unterwarf und massive Reformen durchführte, da sahen die allermeisten ihrer Kritiker eine neoliberale Verschwörung am Werk.

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Wer über Ungleichheit spricht, übersieht oft dieses Detail

Vermutlich haben schon im Alten Ägypten die Menschen über soziale Ungerechtigkeit geklagt. Freilich haben selbst die Ärmeren vor fünfzig Jahren nicht mehr sehr viel gemeinsam mit dem ärmeren Teil der Bevölkerung heute. Der Technik und der Marktwirtschaft sei Dank.

Der diesjährige Ökonomie-Nobelpreisträger Angus Deaton hat vor zwei Jahren ein Buch geschrieben unter dem Titel „The Great Escape – Health, Wealth and the Origins of Inequality„. Er schildert darin, wie es insbesondere den westlichen Gesellschaften gelang, aus Not, Armut und der Sorge um das tägliche Überleben herauszukommen.

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Am besten werden unsere Daten von Google, Facebook und Co selbst geschützt

Ob Entwicklungen wie das jüngste Urteil des Europäischen Gerichtshofs unsere Daten wirklich sicherer machen, ist höchst zweifelhaft. Es bestimmt nur, dass jetzt der europäische Bock der Gärtner sein darf: Das Problem sind nämlich weder Facebook noch Google, sondern NSA und BND.

Schon reiben sich die Nachwuchs-ITler in Europa vergnügt die Hände. Eine erkleckliche Zahl von ihnen kann demnächst in Irland, Rumänien und mit etwas Glück sogar auf deutschem Boden eine Anstellung finden, wenn amerikanische Internetkonzerne von Amazon bis Zuckerberg nun neue IT-Zentren in Europa aufbauen, um die europäischen Daten auf europäischem Boden zu speichern.

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